6 Fragen an 6 Poeten

Interview mit Anne Martin

 

Frage 1: Wann hast du deinen ersten vorzeigbaren Text geschrieben?

Irgendwie findet man (oder eben ich) ja immer, dass der aktuelle Text, an dem man schreibt, der beste ist, hinter den man nicht mehr zurück will, aber seit 2008 gibt es schon ein paar, für die ich mich auch heute nicht schämen würde.

 

Frage 2: Was bedeutet für dich das Schreiben?

Weltbewältigung oderBeweltigung. Sich die Welt im wahrsten Sinne des Wortes erschreiben und das aber nicht im Sinne klassischer Fiktion, die man der „Realität“ gegenüberstellt oder therapeutisch-eskapistisch an die Hand gibt, sondern im Sinne eines ordnenden Vorgangs, in dem man sich selbst und seine Erfahrungen mit der Welt strukturieren kann. Und ja, manchmal auch irgendwie verschönern oder sublimieren. Dass, wenn es schon scheiße ist, wenigstens die Erkenntnis dessen eine schöne oder interessante Form hervorbringt.

 

Frage 3:  Im Jahr 2050, gibt es da noch Menschen, die schreiben? Wie verändert sich die Schriftkultur?

Das ist eine unglaublich schwere Frage, besonders vor dem Hintergrund dessen, dass sich vor 20 Jahren wahrscheinlich auch die wenigsten vorstellen konnten, welchen Stellenwert z. B. Smartphones heutzutage in unseren Leben haben und wie sich unsere kulturellen Praxen dadurch verändert haben, aber schreiben im Sinne von kreativer Textproduktion werden wir wahrscheinlich immer, auch wenn es sich um Tippen oder Diktieren handelt. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass die Schriftkultur im klassischen Sinne mit Stift auf Papier länger überdauert als man in iPhone-Zeiten annimmt, gerade weil sich die literarische Szene wahrscheinlich selbst darum bemüht und die Handschriftlichkeit ja auch etwas mit konservierter kultureller Praxis zu tun hat, die ein gewisses Image füttert, was sich ja an Verlagen wie Moleskine zeigt. Ich hoffe hierbei also auf eine kritische subkulturelle Masse, die mir Block und Bleistift erhält.

 

Frage 4:  Was ist für dich im Vergleich zu anderen Künsten das Besondere an der Literatur?

Schreiben scheint mir am direktesten mit mir verwoben zu sein, woraus sich seine Intensität und Wichtigkeit für mich ergibt: Ich studiere ja auch Kunst; und Zeichnen und Malen waren immer ein großer Teil meines Lebens, genauso wie Musik schreiben und machen, aber für das Schreiben braucht man vergleichsweise so wenig, und es scheint so unvermittelt (obwohl in einem Gedicht wahrscheinlich auch mehrere Kilogramm Bücher, die man vorher hin und her gehievt und gelesen hat, drinstecken). Das liegt natürlich auch daran, dass das Medium Sprache sehr viel intuitiver gelernt wird und es mir auch daher direkter erscheint als ein Instrument zu spielen oder erst mit vielen Handgriffen gemischte Farbe auf einen Malgrund bringen. In Sprache scheint die Welt am Ende schneller „im Bild“ zu sein.

 

Frage 5:  Schreiben kommt vom Lesen. Welches Buch hat dich zuletzt inspiriert?

„Aller Tage Abend“ von Jenny Erpenbeck und immer wieder oder, besser gesagt, immer noch „Infinite Jest“ von Davis Foster Wallace.

 

Frage 6:  Was kommt für dich nach dem Poetencamp?

Abschluss des Zweitstudiums, sprich erstes Staatsexamen, und ab März nächsten Jahres ein Promotionsstipendium in Praktischer Philosophie, und hoffentlich dabei noch genug Zeit zum anderweitigen Lesen und Schreiben.