6 Fragen an 6 Poet:innen

© Reiner Mnich

 

Interview mit Theresa Steigleder

1. Du hast schon einmal am Poetencamp teilgenommen – wie hat sich dein Schreiben seitdem entwickelt?

Diese Frage habe ich mir tatsächlich auch schon selbst gestellt. Mein Schreibstil ist flüssiger und echter geworden. Das liegt vielleicht daran, dass ich mittlerweile angstfreier schreibe. Ich habe mal irgendwo aufgeschnappt, dass gute Schriftsteller so schreiben als würden ihre Eltern nicht mitlesen. Wer das gesagt hat, weiß ich leider nicht mehr, aber ich habe es mir scheinbar so sehr zu Herzen genommen, dass ich nun unverblümt über alle Dinge schreibe, über die ich mit meiner Familie wirklich nie reden würde. Ich bin nicht mehr das vorzeigbare Mädchen, das man mit märchenhaften Landschafts- oder Gefühlsbeschreibungen bei den Nachbarn zitieren kann. Meine Texte sind jetzt wilder und lassen sich so auch flüssiger schreiben. Ohne diese Eigenzensur (im Sinne von „Was würde ein bestimmtes Publikum dazu sagen?“) lässt es sich einfach besser leben … ähm, schreiben.

2. Was bedeutet der Austausch mit anderen Schreibenden für dich, zum Beispiel hier beim Poetencamp?

Vor allem beim Poetencamp finde ich es immer wieder spannend, wenn verschiedene Schreibstile aufeinander prallen. Manche Motive ähneln sich in den Texten, aber alle haben eine andere Art, sie auszudrücken. Das gibt mir Inspiration und kann sogar gedankliche Lücken füllen, die ich bei meinen eigenen Texten noch habe. Verschiedene Schreibstile sind auch verschiedene Blickweisen auf die Welt und es ist immer wieder spannend, über meinen eigenen Tellerrand zu blicken. Außerdem interessieren mich auch immer die Menschen hinter den Buchstaben und was sie im Leben sonst so machen. So sind auch in den letzten Jahren einige Freundschaften entstanden, die eben auch fernab von Bühnen oder Textbesprechungen aufblühen konnten.

3. Schreiben speist sich auch aus der Lektüre. Welches Buch, welche Texte haben dich zuletzt inspiriert?

Das hier ist eine Frage, die ich wahrscheinlich vor ein paar Jahren noch unehrlich beantwortet hätte. Ich hätte sie mit Büchern beantwortet, die nicht nur mir, sondern auch den InterviewleserInnen großartig erscheinen würden. Sibylle Berg zum Beispiel. Ihre Bücher sind und bleiben bei mir ganz oben auf der Lieblingsbuchliste. Aber in Wahrheit habe ich in den letzten Jahren vor allem Selbsthilfebücher und Sachbücher gelesen und die haben mich nicht nur inspiriert, sondern vor allem auch verändert und weitergebracht. Ich habe mich mit dem Frausein auf dieser Welt auseinander gesetzt (z.B. mithilfe von „Women Who Run With The Wolves“ von Clarissa Pinkola Estés), habe mich versucht, in Männer hineinzuversetzen (mit Sam Keens „Fire In The Belly“), habe meine Meinung über die Gesellschaft durch einen Gesamtüberblick gefestigt (mit „Homo Deus“ von Yuval Noah Harari) und mich selbst von allerlei Ängsten befreit (z.B. durch „Art & Fear“ von David Bayles & Ted Orland, das ich an dieser Stelle wirklich allen empfehlen kann, die sich noch in ihrer eigenen Kunst blockiert fühlen). Dazwischen habe ich mir leichte, aber nicht minder großartige Lektüre gegönnt, um den Spaß am Leben nicht aus den Augen zu verlieren. Hier mal ein Walter Moers, da mal eine Ausgabe der RISSE und wahrscheinlich nun schon zum dreizehnten Mal „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende. Das ist das meistgelesene Buch meines Lebens, es verändert sich immer noch mit mir und es ist jedes Mal wundervoll.

4. Auf welchen Wegen wird Literatur Teil deines Alltags, wie liest und schreibst du (mit welchen Geräten, zu welchen Tageszeiten …)?

Letztes Jahr habe ich mir, nach anderthalb Jahren des Überlegens, endlich mal ein Tablet gegönnt. Damit bin ich nun leichter und freier und gehe nun auch oft in Cafés zum Schreiben. Menschen beobachten inspiriert mich. Und wenn ich mir Musik in die Ohren stecke, bleibt auch die Konzentration erhalten. Manchmal treffe ich mich auch mit anderen Menschen zum gemeinsamen Arbeiten. Das motiviert uns gegenseitig. Aber ich schreibe natürlich auch zuhause. An meinem Schreibtisch, der klassischerweise am Fenster steht. Momentan schreibe ich vor allem vormittags und das ist ein bisschen verrückt, weil ich immer dachte, ich sei ein Abend- oder Nachtschreibemensch. Aber ich lasse es einfach geschehen und freue mich darüber, dass ich zum Mittag schon viel geschafft habe und dann abends auch mal Feierabend habe. Diese Zeit nutze ich dann oft für ausgiebige Spaziergänge, in denen ich tagträumen oder meine Texte weiterdenken kann. Das Lesen kommt dagegen meistens ohne Vorwarnung: Ich lese, wenn es gerade passt oder wenn ich Lust darauf habe oder weil ich einfach nicht aufhören kann, zu lesen. Es kommt auch manchmal vor, dass ich ein Buch in einem oder zwei Tagen in mich aufsauge.

5. Was macht gute Literatur für dich aus?

Das ist eine gut gestellte Frage. Schon im Literaturstudium hat es mich aufgeregt, wenn von einem „Kanon der Weltliteratur“ die Rede war. Gute Literatur, so schien es, ist von alten, weißen, europäischen Männern geschrieben. Diese Aussage ist in den letzten Jahren ja geradezu zum Schimpfwort geworden und wirkt ein bisschen dumpf. Aber es wurde oft genug mit dem Kopf geschüttelt, weil ich in meiner Regalreihe mit Lieblingsbüchern zwischen Dostojewskij, Tolstoi und Kafka eben auch eine Charlotte Roche stehen hatte. Ihren Büchern wurde so Vieles zugeschrieben, aber leider nicht das Attribut der „guten Literatur“. Dabei ist gute Literatur auf so vielen Wegen anzutreffen. Für mich liegt sie in der detailreichen Beschreibung einer Intimrasur bei Charlotte Roche, in der kindlichen Perspektive eines Textes über eine Geburtstagsparty bei einem meiner Schreibworkshops in einer vierten Klasse oder in der witzigen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemthemen bei einem Poetry Slam. Gute Literatur ist subjektiv. Gute Literatur erzeugt Resonanzen in uns, bringt etwas zum Schwingen, das gehört und verstanden werden will. Das kann in mir etwas ganz anderes sein als in dir und das macht Literatur überhaupt so wertvoll.

6. Was kommt für dich nach dem Poetencamp?

Für uns alle hoffe ich, dass sich Corona mit all seinen Beschränkungen nicht weiter ausbreitet. Ich habe zwar noch ein paar (Online-)Workshops im Terminplaner, aber es fehlt mir, auf Bühnen zu sein und meine Texte lebendig zu machen. Ich habe für ein paar Auftritte zugesagt, aber bin innerlich noch recht unsicher, ob und wie das alles stattfinden wird. Ich hoffe also auf jeden Fall, dass ich irgendwann nach dem Poetencamp wieder mit einem langgezogenen „Theeeresaaa Steigledeeeer“ auf Bühnen angekündigt werde und in vollen Clubs als Faustina Fauna Musik auflegen kann. Und solange das nicht passiert, versuche ich, an meinem Roman weiterzuarbeiten und wünsche mir, wie bei jedem Roman vorher auch, dass ich den nun endlich mal bis zum Ende schreibe.