Programmarchiv Literaturhaus Rostock

30. April 2019 | 20:00 Rückblick Heinz Bude »Solidarität. Zukunft einer großen Idee«

Moderation: Dr. Heiner Hastedt[mehr]

Am 30. März hatte das Literaturhaus die große Ehre Heinz Bude mit seinem neuen Buch »Solidarität. Die Zukunft einer großen Idee« zu begrüßen. Moderiert wurde der Abend von Prof. Dr. phil. Heiner Hastedt. Sollte Ihnen dies bekannt vorkommen, liegt es daran, dass die beiden Herren schon letztes Jahr im Literaturhaus auf der Bühne standen. Damals stellte Bude sein Buch » Adorno für Ruinenkinder. Eine Geschichte von 1968« vor. Dr. Hastedt stellte Heinz Bude voller Lob als einen Autor vor, der auf knappem Raum brisante Themen besprechen kann und stellte ihm gleich die Frage, wie er auf ein so kontroverses Thema wie Solidarität gekommen sei. Bude gab zu, dass es zuerst auf Wiederstand stieß, als er angefangen habe, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Auch er war in seiner Jugend bereit Solidarität hinter sich zu lassen. Nach dem Motto „Individuen einfach machen lassen“ besetzte er Häuser und demonstrierte. Seiner Meinung nach, waren es individuelle Menschen, die einen Unterschied bewirkten. Der Ausdruck Solidarität hatte für Bude lange Zeit einen schlechten Beigeschmack. Ganz in diesem Sinne wird der Gedanke der Solidarität, laut Bude, auch heutzutage von der politischen Rechten missbraucht. Zuerst wir und dann die anderen - das nennt Bude exklusive Solidarität, eine Idee, die er scharf kritisiert. Auch seine frühere Überzeugung vom starken Einzelnen hat Bude inzwischen abgelegt. Und hier kam seine neue Definition von Solidarität auf.
Um nicht zu viel aus dem Buch vorwegzunehmen, hier nur eine kurze Zusammenfassung: Solidarität stellt die Frage danach, was ein einzelner wirklich braucht und wie bereit wir sind, gemeinsam etwas zu geben. Begriffe wie Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Großzügigkeit fielen in seiner Definition von Solidarität auch.
Trotz der großen, teilweise abstrakten Ideen, mit denen Bude sich beschäftigt, waren seine Ansätze sehr gut verständlich und nachvollziehbar. Mit schwerwiegenden Themen wie Politik, Kapitalismus und Klimawandel  beschäftigt er sich auf eine lockere und enthusiastische Art und Weise, die es dem Publikum leicht machte ihm zu folgen. Hastedt war seinerseits ein hervorragender Gesprächspartner, der Verständnis- und Rückfragen stellte und selber sehr interessiert an den Antworten war. Mit den Worten „Heinz Bude liest“ eröffnete Dr. Hastedt die Lesung einer kurzen Passage aus dem Buch. Wieder kam die Verständlichkeit von Budes Worten und Gedanke zum Vorschein. In dem durchaus kurzen Abschnitt verglich Heinz Bude Arbeiter und Angestellte und ihre unterschiedlichen Ziele und Wünsche, alles in Hinblick auf die Begrifflichkeit der Solidarität. Nach einem kurzen Vortrag von Bude zum Thema Postkapitalismus und wirtschaftliche Zukunft, wurden die Fragerunde des Publikums eröffnet. Es wurden viele interessante Fragen zu Budes Forschung und Werken gestellt und Begriffe geklärt, die weitere spannende Diskussion nach sich zogen. Bude war allen Fragen gegenüber sehr offen, bereit Dinge zu wiederholen und genauer zu erläutern. Bude überzeugte durch seine Intelligenz, seine charmante Art und sein breites Interessenspektrum.  Es war eine Freude ihm zuzuhören und sich von ihm zum Nachdenken anregen zu lassen. Wir bedanken uns bei Heinz Bude und Heiner Hastedt für diesen spannenden Abend. Natalie Dielmann (Praktikantin im Literaturhaus Rostock)

30. April 2019 | 20:00 Heinz Bude: »Solidarität«

Moderation: Prof. Heiner Hastedt (Universität Rostock)[mehr]

Wieso geriet Solidarität so in Verruf? Und könnte sie unsere Gesellschaft eventuell doch vor dem Auseinanderbrechen retten? Mit seinen Reflexionen liefert der Soziologe Heinz Bude Antworten auf existentielle Fragen von heute. Menschen müssen solidarischer und empathischer handeln – besonders in der heutigen Zeit, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderdriftet und jeder für seinen Erfolg eigenverantwortlich ist. Heinz Bude rechnet in »Solidarität« (Hanser Verlag) mit Deutschlands Sozialsystem ab und appelliert an die Mitmenschlichkeit der Bevölkerung: Es reicht nicht nur aus, durch Sozialversicherungen materielle Not zu lindern, man sollte auch die Menschen dahinter wieder erkennen und sich in sie einfühlen können.  Moderiert wird der Abend von Heiner Hastedt, Professor für Sozialphilosophie und Anthropologie an der Universität Rostock. Heinz Bude, geboren 1954, studierte Soziologie, Philosophie und Psychologie. Seit 2000 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel. 1997-2015 leitete er den Bereich "Die Gesellschaft der Bundesrepublik" am Hamburger Institut für Sozialforschung. Er lebt in Berlin. Im Carl Hanser Verlag erschienen zuletzt:  Das Gefühl der Welt. Über die Macht von Stimmungen (2016) und Adorno für Ruinenkinder. Eine Geschichte von 1968 (2018). Ort: Literaturhaus Rostock (im Peter-Weiss Haus), Doberaner Straße 21, 18057 Rostock
Eintritt frei. Um Reservierungen wird gebeten.
Eine Kooperationsveranstaltung mit der Landeszentrale für politische Bildung MV.

27. April 2019 | 19:30 Rückblick Jenny Erpenbeck und Gregor Sander im Gespräch mit Simone Neteler und Marcel Lepper

Moderation: Katrin Möller - Funck[mehr]

Im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums in Rostock durften wir am 27.04 die Autor*innen Jenny Erpenbeck und Gregor Sander sowie Marcel Lepper (Leiter des Literaturarchivs an der Akademie der Künste in Berlin) und Simone Neteler (Lehrbeauftragte der Universität Hildesheim) begrüßen. Das Gespräch verlief unter dem Titel "Die Rolle des Archivs für Autorschaft und Autorentechnik". Moderiert wurde der Abend von Katrin Möller-Funck (Kempowski-Archiv-Rostock). Die Kempowski-Tage fanden am Wochenende von 26.04-28.04 zu Ehren des 90. Geburtstages des Schriftstellers statt. In Anlehnung an eines der berühmtesten Zitate Kempowskis „Ich möchte Archiv werden“, eröffnete  Möller- Funck das Gespräch mit der Frage danach, was Erpenbeck und Sander für gewöhnlich archivieren. Erpenbeck offenbarte, das inoffizielle Archiv ihrer Familie bei sich zu Hause zu haben. Hinterlassenschaften der Familie, von Tagebüchern und Manuskripten bis zu einem Dokument ihrer Großmutter. Die hat alle Stationen auf ihrem Weg ins sowjetische Lager festgehalten. Als weiteres Beispiel brachte sie den Nachlass ihres Großvaters an. Er war der Redakteur der Zeitschrift „Das Wort“ in Moskau und führte einen regen Briefwechsel mit Bertolt Brecht, den Erpenbeck heute verwahrt Darüber hinaus archiviert Erpenbeck mithilfe von Tonbandaufnahmen auch selbst. Zu dem Zeitpunkt der Aufnahmen war ihr die Bedeutung vieler aufgezeichneter Gespräche noch nicht klar. Heute ist sie froh, sie nicht nur gemacht,, sondern auch digitalisiert und transkribiert zu haben. Ihr Archiv ist „ein Fass ohne Boden“ und Erpenbeck gab zu, dass all diese Schätze sehr ungeordnet vorliegen. Sie selbst ist  die einzige die  tatsächlich einen Überblick hat.
Sander hingegen beichtete, sich leicht von Dingen trennen zu können und gerne auszumisten. Sobald er an einem neuen Projekt arbeitet, taucht er ganz ein und braucht nichts anderes. Er sammelt Fotos für eine Fotowand, Musik, Bücher (auch aus Bibliotheken) und Gesprächspartner, die sein Projekt ausmachen. Nach Abschluss eines Projektes ist davon nicht mehr viel übrig. Auch Tagebuch führt er nicht, was, wie er scherzhaft sagte, ja eigentlich zur Berufsbeschreibung eines Schriftstellers gehöre
Möller-Funcks nächste Frage richtete sich an Neteler. Sie wollte wissen, wie die Struktur und Betreuung eines Archives aussieht. Neteler, die noch persönlich mit Kempowski an dessen Archiv arbeitete, sagte, dass das Kempowski Archiv nicht „nur“ ein Schriftsteller-Archiv sei. Seit 1980 werden Tagebücher, Briefe, Fotographien und ähnliches an das Archiv geschickt. Dieses sogenannte Fremdmaterial hat Kempowski sehr interessiert und fasziniert. 2005 ist das Archiv in die Akademie der Künste in Berlin eigezogen, da die schiere Menge der über 500 laufenden Metern an Dokumenten und über 100 000 Fotographien mehr Platz und eine professionelle Instandhaltung? benötigte. Marcel Lepper fügte an, dass das Kempowski Archiv sehr durchdacht sei, da es von Anfang an als Archiv geplant war. Trotz der wunderbaren Organisation der Materialien, gibt es noch ein Paar tückische Stellen, die Lepper am faszinierendsten findet. Die Materialien, von denen man nicht weiß, woher und von wem sie kommen und wie sie ins Archiv gelangt sind, sind nicht immer entwickelbar, aber da liegt, laut Lepper, der Spaß. Das Kempowski Archiv erzählt dank des Fremdmaterials die Kultur- und Alltagsgeschichte mehrerer Jahrzehnte nach.
Erpenbecks und Sanders unterschiedliche Form des Archivierens entfachte eine interessante Diskussion zum Thema Erinnerungen. Denn eigene Erinnerungen sind immer fehlerhaft und beschönigen das Geschehene meist, und auch Tagebucheinträge erzählen meist nicht die ganze Wahrheit. Erpenbeck sagte, dass sie, aus Angst etwas zu vergessen archiviert. Sander ist der Meinung, dass man bei fehlender Erinnerung, Recherche als Stütze benutzten kann. Neteler brachte an, dass Kempowski sich auf verschiedene Weisen erinnert hat. Er nahm Gespräche mit Familie und Freunden auf, und baute darauf seine Romane auf. Im Echolot sammelte er Erinnerungen von anderen Menschen aus dem 2. Weltkrieg. Er gab ihnen genug Raum, um Erinnerungen zu sammeln und zu verarbeiten. Das Archiv wird zu einem riesigen Erinnerungskosmos. Lepper meinte, dass dem Archivieren immer ein Bruch vorausgeht, ob biographisch, durch den Tod einer Person, oder historisch, durch z.B. den Zerfall eines Staates. Ein Archiv ist nicht stabil und kann auch etwas entzünden.
Auf dieses spannende Gespräch folgte eine Lesung aus Erpenbecks Essayband »Kein Roman. Texte 1992 bis 2018« und aus Sanders im August erscheinendem Roman »Alles richtig gemacht«. Beide Texte beschäftigen sich auf verschiedene Art und Weise mit Erinnerungen und dem Prozess des Erinnerns.

Wir bedanken uns bei allen Beteiligten für diesen tollen Abend.   Eine gemeinsame Veranstaltung im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums der Universität Rostock in Zusammenarbeit mit dem Kempowski Archiv Rostock. Ein bürgerliches Haus e.V. Natalie Dielmann (Praktikantin im Literaturhaus Rostock)

27. April 2019 | 19:30 Jenny Erpenbeck und Gregor Sander im Gespräch mit Marcel Lepper und Simone Neteler

Moderation: Katrin Möller-Funck[mehr]

Im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums in Rostock durften wir am 27.04 die Autor*innen Jenny Erpenbeck und Gregor Sander sowie Marcel Lepper (Leiter des Literaturarchivs an der Akademie der Künste in Berlin) und Simone Neteler (Lehrbeauftragte der Universität Hildesheim) begrüßen. Das Gespräch verlief unter dem Titel "Die Rolle des Archivs für Autorschaft und Autorentechnik". Moderiert wurde der Abend von Katrin Möller-Funck (Kempowski-Archiv-Rostock). Die Kempowski-Tage fanden am Wochenende von 26.04-28.04 zu Ehren des 90. Geburtstages des Schriftstellers statt.

In Anlehnung an eines der berühmtesten Zitate Kempowskis „Ich möchte Archiv werden“, eröffnete  Möller- Funck das Gespräch mit der Frage danach, was Erpenbeck und Sander für gewöhnlich archivieren. Erpenbeck offenbarte, das inoffizielle Archiv ihrer Familie bei sich zu Hause zu haben. Hinterlassenschaften der Familie, von Tagebüchern und Manuskripten bis zu einem Dokument ihrer Großmutter. Die hat alle Stationen auf ihrem Weg ins sowjetische Lager festgehalten. Als weiteres Beispiel brachte sie den Nachlass ihres Großvaters an. Er war der Redakteur der Zeitschrift „Das Wort“ in Moskau und führte einen regen Briefwechsel mit Bertolt Brecht, den Erpenbeck heute verwahrt Darüber hinaus archiviert Erpenbeck mithilfe von Tonbandaufnahmen auch selbst. Zu dem Zeitpunkt der Aufnahmen war ihr die Bedeutung vieler aufgezeichneter Gespräche noch nicht klar. Heute ist sie froh, sie nicht nur gemacht,, sondern auch digitalisiert und transkribiert zu haben. Ihr Archiv ist „ein Fass ohne Boden“ und Erpenbeck gab zu, dass all diese Schätze sehr ungeordnet vorliegen. Sie selbst ist  die einzige die  tatsächlich einen Überblick hat.
Sander hingegen beichtete, sich leicht von Dingen trennen zu können und gerne auszumisten. Sobald er an einem neuen Projekt arbeitet, taucht er ganz ein und braucht nichts anderes. Er sammelt Fotos für eine Fotowand, Musik, Bücher (auch aus Bibliotheken) und Gesprächspartner, die sein Projekt ausmachen. Nach Abschluss eines Projektes ist davon nicht mehr viel übrig. Auch Tagebuch führt er nicht, was, wie er scherzhaft sagte, ja eigentlich zur Berufsbeschreibung eines Schriftstellers gehöre.


Möller-Funcks nächste Frage richtete sich an Neteler. Sie wollte wissen, wie die Struktur und Betreuung eines Archives aussieht. Neteler, die noch persönlich mit Kempowski an dessen Archiv arbeitete, sagte, dass das Kempowski Archiv nicht „nur“ ein Schriftsteller-Archiv sei. Seit 1980 werden Tagebücher, Briefe, Fotographien und ähnliches an das Archiv geschickt. Dieses sogenannte Fremdmaterial hat Kempowski sehr interessiert und fasziniert. 2005 ist das Archiv in die Akademie der Künste in Berlin eigezogen, da die schiere Menge der über 500 laufenden Metern an Dokumenten und über 100 000 Fotographien mehr Platz und eine professionelle Instandhaltung? benötigte. Marcel Lepper fügte an, dass das Kempowski Archiv sehr durchdacht sei, da es von Anfang an als Archiv geplant war. Trotz der wunderbaren Organisation der Materialien, gibt es noch ein Paar tückische Stellen, die Lepper am faszinierendsten findet. Die Materialien, von denen man nicht weiß, woher und von wem sie kommen und wie sie ins Archiv gelangt sind, sind nicht immer entwickelbar, aber da liegt, laut Lepper, der Spaß. Das Kempowski Archiv erzählt dank des Fremdmaterials die Kultur- und Alltagsgeschichte mehrerer Jahrzehnte nach.


Erpenbecks und Sanders unterschiedliche Form des Archivierens entfachte eine interessante Diskussion zum Thema Erinnerungen. Denn eigene Erinnerungen sind immer fehlerhaft und beschönigen das Geschehene meist, und auch Tagebucheinträge erzählen meist nicht die ganze Wahrheit. Erpenbeck sagte, dass sie, aus Angst etwas zu vergessen archiviert. Sander ist der Meinung, dass man bei fehlender Erinnerung, Recherche als Stütze benutzten kann. Neteler brachte an, dass Kempowski sich auf verschiedene Weisen erinnert hat. Er nahm Gespräche mit Familie und Freunden auf, und baute darauf seine Romane auf. Im Echolot sammelte er Erinnerungen von anderen Menschen aus dem 2. Weltkrieg. Er gab ihnen genug Raum, um Erinnerungen zu sammeln und zu verarbeiten. Das Archiv wird zu einem riesigen Erinnerungskosmos. Lepper meinte, dass dem Archivieren immer ein Bruch vorausgeht, ob biographisch, durch den Tod einer Person, oder historisch, durch z.B. den Zerfall eines Staates. Ein Archiv ist nicht stabil und kann auch etwas entzünden.


Auf dieses spannende Gespräch folgte eine Lesung aus Erpenbecks Essayband »Kein Roman. Texte 1992 bis 2018« und aus Sanders im August erscheinendem Roman »Alles richtig gemacht«. Beide Texte beschäftigen sich auf verschiedene Art und Weise mit Erinnerungen und dem Prozess des Erinnerns.

Wir bedanken uns bei Jenny Erpenbeck, Gregor Sander, Marcel Lepper, Simone Neteler und Katrin Möller-Funck für diesen spannenden Abend. Eine gemeinsame Veranstaltung im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums der Universität Rostock in Zusammenarbeit mit dem Kempowski Archiv Rostock. Ein bürgerliches Haus e.V. Natalie Dielmann (Praktikantin Literaturhaus Rostock)

27. April 2019 | 19:30 Jenny Erpenbeck und Gregor Sander im Gespräch mit Marcel Lepper und Simone Neteler

Öffentliche Abendveranstaltung innerhalb des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums | moderiert von Katrin Möller-Funck (Kempowski-Archiv-Rostock)[mehr]

Im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums in Rostock durften wir am 27.04 die Autor*innen Jenny Erpenbeck und Gregor Sander sowie Marcel Lepper (Leiter des Literaturarchivs an der Akademie der Künste in Berlin) und Simone Neteler (Lehrbeauftragte der Universität Hildesheim) begrüßen. Das Gespräch verlief unter dem Titel "Die Rolle des Archivs für Autorschaft und Autorentechnik". Moderiert wurde der Abend von Katrin Möller-Funck (Kempowski-Archiv-Rostock). Die Kempowski-Tage fanden am Wochenende von 26.04-28.04 zu Ehren des 90. Geburtstages des Schriftstellers statt.

In Anlehnung an eines der berühmtesten Zitate Kempowskis „Ich möchte Archiv werden“, eröffnete  Möller- Funck das Gespräch mit der Frage danach, was Erpenbeck und Sander für gewöhnlich archivieren. Erpenbeck offenbarte, das inoffizielle Archiv ihrer Familie bei sich zu Hause zu haben. Hinterlassenschaften der Familie, von Tagebüchern und Manuskripten bis zu einem Dokument ihrer Großmutter. Die hat alle Stationen auf ihrem Weg ins sowjetische Lager festgehalten. Als weiteres Beispiel brachte sie den Nachlass ihres Großvaters an. Er war der Redakteur der Zeitschrift „Das Wort“ in Moskau und führte einen regen Briefwechsel mit Bertolt Brecht, den Erpenbeck heute verwahrt Darüber hinaus archiviert Erpenbeck mithilfe von Tonbandaufnahmen auch selbst. Zu dem Zeitpunkt der Aufnahmen war ihr die Bedeutung vieler aufgezeichneter Gespräche noch nicht klar. Heute ist sie froh, sie nicht nur gemacht,, sondern auch digitalisiert und transkribiert zu haben. Ihr Archiv ist „ein Fass ohne Boden“ und Erpenbeck gab zu, dass all diese Schätze sehr ungeordnet vorliegen. Sie selbst ist  die einzige die  tatsächlich einen Überblick hat.
Sander hingegen beichtete, sich leicht von Dingen trennen zu können und gerne auszumisten. Sobald er an einem neuen Projekt arbeitet, taucht er ganz ein und braucht nichts anderes. Er sammelt Fotos für eine Fotowand, Musik, Bücher (auch aus Bibliotheken) und Gesprächspartner, die sein Projekt ausmachen. Nach Abschluss eines Projektes ist davon nicht mehr viel übrig. Auch Tagebuch führt er nicht, was, wie er scherzhaft sagte, ja eigentlich zur Berufsbeschreibung eines Schriftstellers gehöre
Möller-Funcks nächste Frage richtete sich an Neteler. Sie wollte wissen, wie die Struktur und Betreuung eines Archives aussieht. Neteler, die noch persönlich mit Kempowski an dessen Archiv arbeitete, sagte, dass das Kempowski Archiv nicht „nur“ ein Schriftsteller-Archiv sei. Seit 1980 werden Tagebücher, Briefe, Fotographien und ähnliches an das Archiv geschickt. Dieses sogenannte Fremdmaterial hat Kempowski sehr interessiert und fasziniert. 2005 ist das Archiv in die Akademie der Künste in Berlin eigezogen, da die schiere Menge der über 500 laufenden Metern an Dokumenten und über 100 000 Fotographien mehr Platz und eine professionelle Instandhaltung? benötigte. Marcel Lepper fügte an, dass das Kempowski Archiv sehr durchdacht sei, da es von Anfang an als Archiv geplant war. Trotz der wunderbaren Organisation der Materialien, gibt es noch ein Paar tückische Stellen, die Lepper am faszinierendsten findet. Die Materialien, von denen man nicht weiß, woher und von wem sie kommen und wie sie ins Archiv gelangt sind, sind nicht immer entwickelbar, aber da liegt, laut Lepper, der Spaß. Das Kempowski Archiv erzählt dank des Fremdmaterials die Kultur- und Alltagsgeschichte mehrerer Jahrzehnte nach.
Erpenbecks und Sanders unterschiedliche Form des Archivierens entfachte eine interessante Diskussion zum Thema Erinnerungen. Denn eigene Erinnerungen sind immer fehlerhaft und beschönigen das Geschehene meist, und auch Tagebucheinträge erzählen meist nicht die ganze Wahrheit. Erpenbeck sagte, dass sie, aus Angst etwas zu vergessen archiviert. Sander ist der Meinung, dass man bei fehlender Erinnerung, Recherche als Stütze benutzten kann. Neteler brachte an, dass Kempowski sich auf verschiedene Weisen erinnert hat. Er nahm Gespräche mit Familie und Freunden auf, und baute darauf seine Romane auf. Im Echolot sammelte er Erinnerungen von anderen Menschen aus dem 2. Weltkrieg. Er gab ihnen genug Raum, um Erinnerungen zu sammeln und zu verarbeiten. Das Archiv wird zu einem riesigen Erinnerungskosmos. Lepper meinte, dass dem Archivieren immer ein Bruch vorausgeht, ob biographisch, durch den Tod einer Person, oder historisch, durch z.B. den Zerfall eines Staates. Ein Archiv ist nicht stabil und kann auch etwas entzünden.
Auf dieses spannende Gespräch folgte eine Lesung aus Erpenbecks Essayband »Kein Roman. Texte 1992 bis 2018« und aus Sanders im August erscheinendem Roman »Alles richtig gemacht«. Beide Texte beschäftigen sich auf verschiedene Art und Weise mit Erinnerungen und dem Prozess des Erinnerns.

Natalie Dielmann (Praktikantin Literaturhaus Rostock)

27. April 2019 | 19:30 Rückblick Jenny Erpenbeck und Gregor Sander im Gespräch mit Marcel Lepper und Simone Neteler

Moderation: Katrin Möller-Funck[mehr]

Im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums in Rostock durften wir am 27.04 die Autor*innen Jenny Erpenbeck und Gregor Sander sowie Marcel Lepper (Leiter des Literaturarchivs an der Akademie der Künste in Berlin) und Simone Neteler (Lehrbeauftragte der Universität Hildesheim) begrüßen. Das Gespräch verlief unter dem Titel "Die Rolle des Archivs für Autorschaft und Autorentechnik". Moderiert wurde der Abend von Katrin Möller-Funck (Kempowski-Archiv-Rostock). Die Kempowski-Tage fanden am Wochenende von 26.04-28.04 zu Ehren des 90. Geburtstages des Schriftstellers statt.

In Anlehnung an eines der berühmtesten Zitate Kempowskis „Ich möchte Archiv werden“, eröffnete  Möller- Funck das Gespräch mit der Frage danach, was Erpenbeck und Sander für gewöhnlich archivieren. Erpenbeck offenbarte, das inoffizielle Archiv ihrer Familie bei sich zu Hause zu haben. Hinterlassenschaften der Familie, von Tagebüchern und Manuskripten bis zu einem Dokument ihrer Großmutter. Die hat alle Stationen auf ihrem Weg ins sowjetische Lager festgehalten. Als weiteres Beispiel brachte sie den Nachlass ihres Großvaters an. Er war der Redakteur der Zeitschrift „Das Wort“ in Moskau und führte einen regen Briefwechsel mit Bertolt Brecht, den Erpenbeck heute verwahrt Darüber hinaus archiviert Erpenbeck mithilfe von Tonbandaufnahmen auch selbst. Zu dem Zeitpunkt der Aufnahmen war ihr die Bedeutung vieler aufgezeichneter Gespräche noch nicht klar. Heute ist sie froh, sie nicht nur gemacht,, sondern auch digitalisiert und transkribiert zu haben. Ihr Archiv ist „ein Fass ohne Boden“ und Erpenbeck gab zu, dass all diese Schätze sehr ungeordnet vorliegen. Sie selbst ist  die einzige die  tatsächlich einen Überblick hat.
Sander hingegen beichtete, sich leicht von Dingen trennen zu können und gerne auszumisten. Sobald er an einem neuen Projekt arbeitet, taucht er ganz ein und braucht nichts anderes. Er sammelt Fotos für eine Fotowand, Musik, Bücher (auch aus Bibliotheken) und Gesprächspartner, die sein Projekt ausmachen. Nach Abschluss eines Projektes ist davon nicht mehr viel übrig. Auch Tagebuch führt er nicht, was, wie er scherzhaft sagte, ja eigentlich zur Berufsbeschreibung eines Schriftstellers gehöre
Möller-Funcks nächste Frage richtete sich an Neteler. Sie wollte wissen, wie die Struktur und Betreuung eines Archives aussieht. Neteler, die noch persönlich mit Kempowski an dessen Archiv arbeitete, sagte, dass das Kempowski Archiv nicht „nur“ ein Schriftsteller-Archiv sei. Seit 1980 werden Tagebücher, Briefe, Fotographien und ähnliches an das Archiv geschickt. Dieses sogenannte Fremdmaterial hat Kempowski sehr interessiert und fasziniert. 2005 ist das Archiv in die Akademie der Künste in Berlin eigezogen, da die schiere Menge der über 500 laufenden Metern an Dokumenten und über 100 000 Fotographien mehr Platz und eine professionelle Instandhaltung? benötigte. Marcel Lepper fügte an, dass das Kempowski Archiv sehr durchdacht sei, da es von Anfang an als Archiv geplant war. Trotz der wunderbaren Organisation der Materialien, gibt es noch ein Paar tückische Stellen, die Lepper am faszinierendsten findet. Die Materialien, von denen man nicht weiß, woher und von wem sie kommen und wie sie ins Archiv gelangt sind, sind nicht immer entwickelbar, aber da liegt, laut Lepper, der Spaß. Das Kempowski Archiv erzählt dank des Fremdmaterials die Kultur- und Alltagsgeschichte mehrerer Jahrzehnte nach.
Erpenbecks und Sanders unterschiedliche Form des Archivierens entfachte eine interessante Diskussion zum Thema Erinnerungen. Denn eigene Erinnerungen sind immer fehlerhaft und beschönigen das Geschehene meist, und auch Tagebucheinträge erzählen meist nicht die ganze Wahrheit. Erpenbeck sagte, dass sie, aus Angst etwas zu vergessen archiviert. Sander ist der Meinung, dass man bei fehlender Erinnerung, Recherche als Stütze benutzten kann. Neteler brachte an, dass Kempowski sich auf verschiedene Weisen erinnert hat. Er nahm Gespräche mit Familie und Freunden auf, und baute darauf seine Romane auf. Im Echolot sammelte er Erinnerungen von anderen Menschen aus dem 2. Weltkrieg. Er gab ihnen genug Raum, um Erinnerungen zu sammeln und zu verarbeiten. Das Archiv wird zu einem riesigen Erinnerungskosmos. Lepper meinte, dass dem Archivieren immer ein Bruch vorausgeht, ob biographisch, durch den Tod einer Person, oder historisch, durch z.B. den Zerfall eines Staates. Ein Archiv ist nicht stabil und kann auch etwas entzünden.
Auf dieses spannende Gespräch folgte eine Lesung aus Erpenbecks Essayband »Kein Roman. Texte 1992 bis 2018« und aus Sanders im August erscheinendem Roman »Alles richtig gemacht«. Beide Texte beschäftigen sich auf verschiedene Art und Weise mit Erinnerungen und dem Prozess des Erinnerns.

Wir bedanken uns bei allen Beteiligten für diesen tollen Abend.

 

Eine gemeinsame Veranstaltung im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums der Universität Rostock in Zusammenarbeit mit dem Kempowski Archiv Rostock. Ein bürgerliches Haus e.V.

Natalie Dielmann (Praktikantin im Literaturhaus Rostock)

27. April 2019 | 19:30 Jenny Erpenbeck und Gregor Sander im Gespräch mit Marcel Lepper und Simone Neteler

Öffentliche Abendveranstaltung innerhalb des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums | moderiert von Katrin Möller-Funck (Kempowski-Archiv-Rostock)[mehr]

Die Autor*innen Jenny Erpenbeck und Gregor Sander im Gespräch mit Marcel Lepper (Leiter des Literaturarchivs an der Akademie der Künste in Berlin) und Simone Neteler ( Lehrbeauftragte der Universität Hildesheim) unter dem Titel "Die Rolle des Archivs
für Autorschaft und Autorentechnik". Sie lesen und sprechen über Schriftstellerarchive und Arbeitstechniken und wie beides miteinander verknüpft ist. Die Autorin Jenny Erpenbeck zeigt in ihrem aktuellen Essayband »Kein Roman. Texte von 1992-2018.«, was ihr am Werk anderer Anregung ist, wo sie anknüpft, wozu sie sich bekennt. In diesem parallel zu den Romanen entstandenen essayistischen Werk reflektiert sie auch ihr eigenes Schreiben und Leben und gibt so Einblick in ihre Gedankenwelt und die Hintergründe ihres künstlerischen Schaffens. Jenny Erpenbeck wurde 1967 in Berlin (DDR) geboren. 1987 begann sie ein Studium für Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, bevor sie 1989 an die Berliner Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ wechselte, um dort Musiktheaterregie zu studieren. Dieses Studium schloss sie 1994 mit der Inszenierung von Bartóks Oper "Herzog Blaubarts Burg" in der Parochialkirche und im Tacheles Berlin ab. Ihr erstes Buch, eine Novelle mit dem Titel "Geschichte vom alten Kind", erschien im Jahr 1999 bei Eichborn Berlin. Seit 2014 ist Jenny Erpenbeck Mitglied der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, seit 2015 auch der Akademie der Künste Berlin. Ihre Bücher sind in 20 Sprachen übersetzt. Gregor Sander wurde 1968 in Schwerin geboren und arbeitet als freier Autor in Berlin. Seinen ersten Roman mit dem Titel "Abwesend" veröffentlichte er im Jahr 2007 im Wallstein Verlag. Der Erzählband "Winterfisch" aus dem Jahre 2011 wurde mit dem Preis der LiteraTour Nord (2012) ausgezeichnet. 2014 erschien sein zweiter Roman mit dem Titel "Was gewesen wäre". Marcel Lepper wurde 1977 in Stuttgart geboren und ist der Leiter des Literaturarchivs an der Akademie der Künste in Berlin. Zudem ist er ein Außerplanmäßiger Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Stuttgart. Zu seinen Veröffentlichungen gehören u.a. "Philologie. Zur Einführung" (Junius, 2012) und "Handbuch Archiv", gemeinsam herausgegeben mit Ulrich Raulff (J.B. Metzle, 2016). Simone Neteler arbeitet als Lehrbeauftragte am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft der Universität Hildesheim. Sie studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaften, Germanistik und Psychologie. Bis 2007 war sie eine enge Mitarbeiterin des Schriftstellers Walter Kempowski und ist Herausgeberin der Publikation "Echolot" (2014). Sie lebt als freie Autorin in Berlin. Ort: Aula der Universität Rostock, Universitätsplatz 1, 18055 Rostock
Eintritt frei

Eine gemeinsame Veranstaltung im Rahmen des Internationalen Walter-Kempowski-Symposiums der Universität Rostock in Zusammenarbeit mit dem Kempowski Archiv Rostock. Ein bürgerliches Haus e.V.