Programmarchiv Literaturhaus Rostock

30. Januar 2018 | 20:00 Jonas Lüscher: »Kraft«

Lesung & Gespräch im Rahmen der LiteraTour Nord // Moderation: Prof. Lutz Hagestedt[mehr]

Rund 90 Besucherinnen und Besucher finden sich im Möckelsaal im Peter Weiss Haus ein, um bei der letzten Veranstaltung der LiteraTour Nord 2018 in Rostock dabei zu sein.
Zu Gast ist der Schweizer Autor und Philosoph Jonas Lüscher – mit seinem Debütroman »Kraft«.
Der Titel bezieht sich auf den Protagonisten: Rhetorikprofessor Richard Kraft. Dieser lebt in Tübingen und ist unglücklich verheiratet sowie finanziell gebeutelt. Doch womöglich hat er einen Ausweg aus seiner Misere gefunden – sein alter Weggefährte und ehemalige Kommilitone István, Professor an der Stanford University, lädt ihn zur Teilnahme an einer wissenschaftlichen Preisfrage ins Silicon Valley ein. In Anlehnung an Leibniz´ Essay über die »beste aller Welten« soll Kraft in einem 18-minütigen Vortrag begründen, weshalb alles, was ist, gut ist und wir es dennoch verbessern können. Für die beste Antwort hat ein Software-Mogul eine Million Dollar ausgelobt. Die erste Frage des Moderators Prof. Lutz Hagestedt an den Autoren lautet, wie es denn zu diesem Titel, zu dem Namen „Kraft“ kam? Jonas Lüscher spricht von Autorenglück, denn der Name sei schon vor der Idee zu seinem Roman da gewesen. Daraufhin entwickelte sich die Figur Richard Kraft. Er sei in jungen Jahren ein „intellektueller Kraftprotz“ gewesen, so der Autor. Mit der Zeit verlor Richard Kraft jedoch an Kraft und wurde zu der Figur, die er im Roman ist: ein Mann, der vor den Trümmern seines Lebens steht. Diese schicksalhafte, groteske Ironie findet sich überall in Jonas Lüschers Roman wieder; sie ist der rote Faden der Erzählung. Und als Jonas Lüscher mit dem Vorlesen des ersten Ausschnittes beginnt, weiß das Publikum manchmal nicht, ob es bitter schmunzeln oder mitfühlend schweigen soll – denn die Art und Weise, wie Jonas Lüscher seinen Protagonisten Richard Kraft beschreibt, ist komisch, furios und böse zugleich. So zum Beispiel lässt der Autor seine Hauptfigur nach einer missglückten Kanutour im Silicon Valley, nackt und gequält, umherirren. Und doch scheint Richard Kraft nicht seinen Mut zu verlieren. Dieses kuriose Zusammenspiel von Selbstbewusstsein und Unsicherheit entstand schon in Krafts Kindheit, so Jonas Lüscher auf Prof. Lutz Hagestedts Frage, woher Krafts Existenzängste rühren.
»Kraft« ist jedoch nicht nur ein Roman über gescheiterte Liebesbeziehungen und die Philosophie des Silicon Valley, sondern auch ein höchst politisches Zeugnis. In Zeitsprüngen zwischen der Gegenwart und den 1980er Jahren in der BRD wird Jonas Lüschers Recherchegenauigkeit deutlich. In detailgetreuen Beschreibungen stellt der Autor die Geschehnisse des Kanzlersturzes von 1982 dar – wobei die Detailgenauigkeit dem Charme und Witz der Geschichte keinen Abbruch tut.
Vermutlich ist es auch eben jene besondere Mischung aus gut recherchierter Politikgeschichte, philosophischer Expertise und schicksalhafter Ironie, die das Publikum und die Leser*innen des Romans so schätzen. Jonas Lüscher wuchs in Bern auf, wo er auch von 1994 bis 1998 das Evangelische Lehrerseminar Muristalden besuchte. Nach einigen Jahren als Dramaturg und Stoffentwickler in der Münchner Filmwirtschaft studierte er von 2005 bis 2009 an der Hochschule für Philosophie München. Nebenbei arbeitete Lüscher als freiberuflicher Lektor. Seine erste Novelle »Frühling der Barbaren« wurde 2013 für den Deutschen Buchpreis nominiert, ebenso für den Schweizer Buchpreis, und erhielt mehrere Auszeichnungen. »Kraft« stand ebenfalls auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis und wurde mit dem Schweizer Buchpreis 2017 ausgezeichnet. Jonas Lüscher ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland. Ein Portrait über Jonas Lüscher finden Sie hier: https://youtu.be/dQ2Du7qgQ2s Ein Rückblick von Lara Spät (Praktikantin)

23. Januar 2018 | 20:00 Lukas Bärfuss: »Hagard«

Lesung & Gespräch im Rahmen der LiteraTour Nord // Moderation: Prof. Lutz Hagestedt[mehr]

Eher der Vogel, eher eine Frau „Am Anfang dieser Geschichte steht ein Paar Damenschuhe.“ Es handelt sich um pflaumenblaume Ballerinas, wie der Autor später präzisiert. Die „andere Buchhandlung“ ist gut gefüllt und Lukas Bärfuss beginnt mit der Lesung seines 2017 erschienenen Romans »Hagard«. Gespannt lauschen alle Anwesenden dem charmanten Schweizer Dialekt, mit welchem Lukas Bärfuss voller Spannung und Emotion vorliest. Man mag kaum glauben, dass er seit März 2017 schon um die 100 Lesungen mit »Hagard« veranstaltet hat. Mit Humor, Charisma und Feingefühl für sein Publikum erzählt der Autor und Dramaturg von der Liebe und natürlich von Philipp – der Hauptfigur im Roman »Hagard«. Philipp tritt als erfolgreicher Immobilienhändler auf, der zu Beginn jedoch von einem Kunden versetzt wird. Daraufhin schlendert er durch ein Kaufhaus, ohne Ziel, ohne Plan. Bis er die pflaumenblauen Ballerinas entdeckt. Die Verfolgungsjagd beginnt. In großen, eindrücklichen Bildern beschreibt Lukas Bärfuss, was nun in Philipp vorgeht, wohin seine Gedanken schweifen. Trotz dieser Nähe des Erzählers erfahren wir den eigentlichen Grund für Philipps Verfolgungsmission nicht; vermutlich, weil nicht einmal der Verfolger selbst ihn kennt. Ebenso bleibt die verfolgte Frau ein Rätsel. Weder ihr Name noch ihr Gesicht werden verraten; sie bleibt gänzlich anonym. Und dennoch können sich die Lesenden ein eindrucksvolles Bild machen: Der Erzähler beschreibt sie als Königin, als Göttin, die im Schein eines Diamantblitzes ebenso schnell verschwindet, wie sie auftritt. Getrieben vom Zwang der Verfolgung, gibt Philipp bald alles auf, was ihn bisher ausmachte – Prinzipien, Äußerlichkeiten und Pflichten. Einzig die Verfolgung jener mysteriösen Frau bestimmt ihn und sein Leben.
Auf die Frage, warum der Protagonist sich so verhalte, erwidert Lukas Bärfuss, dass er es auch nicht wisse. Er selbst kenne manchmal auch nicht alle Einzelheiten über seine Bücher, so der Autor. Nicht nur in »Hagard« verdeutlicht Lukas Bärfuss das Gemeinte mit beeindruckenden Metaphern, auch im Dialog mit dem Publikum greift er zu sprachlichen Bildern. So lautet seine Erklärung für sein Unwissen: „Ich wäre vermutlich auch kein Ornithologe, ich wäre viel eher der Vogel.“ Wie eine Schar Vögel fliegen Prof. Lutz Hagestedt und Lukas Bärfuss auch durch die Vielfalt an Gesprächsthemen in ihrem Dialog. Neben der bereits erwähnten Liebe besprechen sie auch die Philosophie. Lukas Bärfuss hat eine Schwäche für die vorsokratischen Philosophen, insbesondere für Parmenides. Auf Prof. Lutz Hagestedts Frage, warum ihn denn die Vorsokratiker interessierten, erwidert der Autor: „Damals gab es noch keine Trennung zwischen Schriftsteller und Philosoph.“ Auch über den deutschen Soziologen Niklas Luhmann unterhalten sie sich und beenden das Gespräch wieder mit der Liebe. Prof. Lutz Hagestedt zitiert Niklas Luhmann mit den Worten: „Wenn Frauen lieben, dann tun sie dies absolut. Wenn Männer lieben, dann haben sie immer noch etwas nebenbei zu tun“ und fragt Lukas Bärfuss, wie er das sehe. Der Autor antwortet, dass er Niklas Luhmann zwar sehr schätze, diese Aussage jedoch nicht satisfaktionsfähig sei. Demnach wäre er selbst, Lukas Bärfuss, eher eine Frau. Denn gerade in menschlichen Beziehungen müsse man absolut sein und sich ganz hineingeben; Pragmatismus sei schlussendlich nicht lebbar, so der Autor. Lukas Bärfuss und Prof. Lutz Hagestedt gestalteten eine rundum gelungene Lesung und nahmen das Publikum dank viel Charme und Witz mit auf eine Verfolgungsjagd, die im Gedächtnis bleibt. Lukas Bärfuss wurde 1971 in Thun geboren. Nach der Matura absolvierte er eine Ausbildung zum Buchhändler. Seit 1997 lebt und arbeitet er als freier Schriftsteller in Zürich. Neben zahlreichen Theaterstücken schreibt er auch Prosatexte und Hörspiele. Für sein Stück »Der Bus (Das Zeug einer Heiligen)« wurde er 2005 zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. Das Stück erhielt im selben Jahr den Mülheimer Dramatikerpreis. 2008 erhielt er für seinen ersten Roman »Hundert Tage« den Anna-Seghers-Preis. Für seinen zweiten Roman »Koala« wird er 2014 mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet. Seit 2015 ist Lukas Bärfuss Mitglied der Akademie für deutsche Sprache und Dichtung.
Ein Portrait über Lukas Bärfuss finden Sie hier: https://youtu.be/1UWo4K2hD7o Ein Rückblick von Lara Spät (Praktikantin)

22. Januar 2018 | 19:30 Tipp: Autorenstammtisch Rostock (AStRo)

Ort: Colosseo // Anmeldung bis zum 17.01.2018[mehr]

AutorInnen sind Solitäre – beim Schreiben. Doch abseits des eigenen Schreibtischs gibt es viel miteinander zu bereden, und auch im literarischen Arbeitsfeld sind Vernetzung und Austausch wichtig. Wie und wo veröffentlichen die anderen, wer sind ihre ersten LeserInnen, wie lässt sich eine gemeinsame Lesung organisieren? Welche Hilfestellung kann man sich gegenseitig geben, wovon kann man aus eigener Erfahrung abraten?
Fragen und Themen wie diese können beim Autorenstammtisch Rostock debattiert werden, wo seit einiger Zeit regelmäßig AutorInnen aus der Stadt und dem Umland zusammenkommen. Die Veranstaltung ist öffentlich, jeder ist sein eigener Gast.
Um rechtzeitig über die nächsten Termine informiert zu sein und den Veranstaltern eine bessere Planung zu ermöglichen, empfiehlt sich bei Facebook ein Beitritt zur Gruppe SchreiberMV, wo regelmäßig die nächsten Veranstaltungen eingestellt werden, und eine rechtzeitige Zusage, damit gegebenenfalls ein größerer Tisch reserviert werden kann.
Für Facebook-freie Anmeldung: E-Mail bis zum 17.01.2018 an volontaer@literaturhaus-rostock.de Ort: Colosseo, Loggerweg 8 (Holzhalbinsel), 18055 Rostock

17. Januar 2018 | 20:00 3. Prosawettbewerb der Germanistik

Lesung & Prämierung der Preisträger*innen // Eintritt frei[mehr]

Was machen Geisteswissenschaftler*innen, wenn sie nicht gerade Kafka oder Hannah Arendt lesen? Sie schreiben natürlich selbst, und zwar nicht nur Hausarbeiten!

Alle Studierenden der Philosophischen Fakultät konnten im vergangenen Jahr ihre selbstgeschriebenen Prosa-Texte einsenden. Eine fachkundige Jury hat die anonymisierten Beiträge gesichtet und die Texte ausgewählt, die an diesem Abend vorgetragen und prämiert werden.

In der Jury zum 3. Prosawettbewerb der Germanistik, organisiert vom Fachschaftsrat GeFaR:
Herr Brandl, Herr Dr. Cölln, Herr Lesker und die Redakteur*innen des Studierendenmagazins heuler.
Die Vortragenden erwarten Lob und tolle Preise, das Publikum kann neue Talente und Texte zu aktuellen Themen entdecken!

Eine Veranstaltung des Fachschaftsrats der Germanistik »GeFaR« mit Unterstützung des Literaturhauses Rostock.

Ort: Literaturhaus Rostock (im Peter-Weiss-Haus), Doberaner Str. 21, 18057 Rostock
Eintritt frei

09. Januar 2018 | 20:00 Mariana Leky: »Was man von hier aus sehen kann«

Lesung und Gespräch im Rahmen der LiteraTour Nord // Moderation: Prof. Lutz Hagestedt[mehr]

Die andere buchhandlung war bis auf den letzten Platz besetzt, am Ende wurden selbst Sitzsäcke, Hocker und Schreibtischstühle aus dem Büro dazu geholt, sodass an diesem Abend jeder einen Platz finden konnte, an dem Mariana Leky, vierte von sechs Autoren und Autorinnen der LiteraTour Nord, aus ihrem Buch »Was man von hier aus sehen kann« las. Die Geschichte handelt im Wesentlichen von Selma, der Großmutter der zehnjährigen Erzählerin Luise, und beginnt mit einem schicksalhaften Moment: Denn jedes Mal, wenn Selma von einem Okapi träumt, stirbt am darauffolgenden Tag jemand aus dem Dorf – und zu Beginn des Buches ist es wieder so weit. So müssen die Dorfbewohner angesichts des vielleicht nahen Todes noch schnell einige Dinge in Ordnung bringen – was durchaus für einige Unordnung sorgen kann … Nicht nur dadurch entwickelt sich die Geschichte weiter, von einem Hund, der das Leben der Familie bereichert, über den tatsächlich eintretenden Todesfall bis zum Schluss, als Luise zwölf Jahre später den inzwischen alt gewordenen Hund sucht, stattdessen aber ihre große Liebe findet. Leky wollte ein Buch über die uferlosen und schwer greifbaren Themen wie Tod und Liebe schreiben. Sie verankerte die Geschichte in einem Dorf im Westerwald, da sie diesen Ort von in der Kindheit dort verbrachten Ferien sehr gut kannte – und um ein solches Buch zu schreiben, muss man der Autorin zufolge so einen Ort auch wie seine Westentasche kennen. Die Figuren sind liebevoll gestaltet und bekommen dadurch eine Echtheit, die das Buch so lesenswert macht. Da gibt es Luises besten Freund Martin, der Gewichtheber werden will und deshalb alles hochhebt, Luises Vater, dessen Lieblingsthema seine eigene Psychoanalyse ist,  oder schließlich Selma selbst, deren Ähnlichkeit mit Rudi Carrell fast schon erschreckend ist. Die Dialoge erinnern durch ihren Sprachwitz leicht an Loriot – zB. wenn der Vater von Luise auf die Frage einer Freundin von Selma, ob er in ihren Augen denn die Verzweiflung sehen könne, antwortet, dass dort nur eine beginnende Lidrandentzündung zu erkennen sei. Das Gespräch zwischen Mariana Leky und dem Moderator Lutz Hagestedt schweifte dabei von  Rudi Carrell über benötigte Rituale in einer kleinen Dorfgemeinschaft bis hin zu dem Geruch von Hundepfoten, welche anscheinend bei jedem dieser Vierbeiner unterschiedlich riechen. So musste man durchweg schmunzeln, und sicher ist, dass an diesem Abend jeder der über hundert Besucher sich von seinem Stuhl, Hocker oder Sitzsack lächelnd erhob und mit einer neuen Vorstellung von Rudi Carrell als Frau nach Hause ging. Mariana Leky studierte nach einer Buchhandelslehre Kulturjournalismus an der Universität in Hildesheim. Mit ihren ersten Erzählungen gewann sie den Allegra Preis 2000. Für den 2001 bei DuMont erschienenen Erzählband »Liebesperlen« wurde sie mit dem Niedersächsischen Literaturförderpreis und dem Stipendium des Landes Bayern ausgezeichnet. 2005 wurde sie für ihren Roman »Erste Hilfe« mit dem Förderpreis für junge Künstler in der Sparte Dichtung/Schriftstellerei des Landes NRW ausgezeichnet. Nach »Die Herrenausstatterin« (2010) ist »Was man von hier aus sehen kann« (2017) Mariana Lekys dritter Roman. Ein Portrait über Mariana Leky finden Sie hier: https://youtu.be/XA9O3Z1EqwU Ein Rückblick von Marie Pruter (Praktikantin).